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„Der rote Faden meiner Therapie“

Ein Auszug aus sieben Jahren Gruppenerfahrung

Die Zeit ist reif….
Sieben Jahre Gruppentherapie sind wahrlich eine lange Zeit. Das, was hier in komprimierter Form zu lesen ist, sind einzelne Etappen eines Weges, der mir zu viel Selbsterkenntnis und letztlich zu neuem Lebensmut verholfen hat. Zu Beginn meiner Therapie habe ich oft den ‘roten Faden’ vermisst und fragte mich, was „das alles“ soll. Ich wusste die vielen einzelnen Entdeckungen, die sich mir scheinbar wahllos und manchmal chaotisch eröffneten, nicht zu ordnen und war verunsichert, wohin der Weg führen würde und was überhaupt das Ziel war. Werner sagte damals: „Der rote Faden bedeutet, sich selbst immer wichtiger zu nehmen“. Dieser Satz erschließt sich mir in seiner Bedeutung erst heute, in der Rückschau auf meine Gruppentherapie. Aber der Reihe nach …..

„… vielleicht gibt es aber auch eine Frage in Ihrem Leben, auf die sie schon seit längerer Zeit eine Antwort finden möchten …“. Dieser Satz in einem Flyer des ASEK e.V. erweckte vor Jahren auf Anhieb meine Aufmerksamkeit und traf mich mitten ins Herz.

DAS, auf das ich dringend eine Antwort suchte, war mir nie zuvor so klar gewesen. DAS, was soviel Chaos verursacht hat, was mein Leben und das Leben in meiner Familie zunächst mit Wucht, dann schleichend immer weiter vergiftet hat: die Vergewaltigung meiner damals 16jährigen Tochter. Es musste endlich um meine Auseinandersetzung mit dieser Tat gehen, um mich, meine Gefühle und alles, was diese Gewalt in und mit mir angerichtet hat.

Den Verfasser jenes für andere vielleicht eher unscheinbaren Satzes lernte ich wenig später im Rahmen meiner Counselor-Ausbildung kennen und entschied, mich in einer Therapiegruppe bei ihm anzumelden.

Meine seelische Ausgangslage
Ein treffendes Bild für meine seelische Ausgangslage zu jener Zeit ist ein tiefes, braunes Erdloch, in dem ich klein, gedrückt und einsam sitze – so hatte ich es in einer Übung an meinem 1. Gruppenwochenende gemalt. Dieses Bild ist seitdem mein beständiger Begleiter. Nein, so klar, war mir vorher nicht, wie tief ich in der Sch…. sitze. Ich hatte mich sofort nach Bekannt – Werden der Tat um meine Tochter und die anderen gekümmert, hatte funktioniert, hilfreich zur Seite gestanden, mit meinem Mann eine Beratungsstelle aufgesucht, die Familie geschützt und gestützt und war dabei offensichtlich immer weiter abgerutscht; zumal auch die Jahre davor durch schwere Erkrankungen meiner zweiten Tochter und den Tod meiner Eltern anstrengend und emotional sehr aufwühlend gewesen waren. Das Bild war nun einerseits eine bittere Erkenntnis, andererseits entsprach es aber eben genau meinem derzeit vertrauten Lebensgefühl. Ein Lebensgefühl, das von fürsorgender und sorgender Liebe und in der Tiefe von Überforderung, Misstrauen, Ängsten, Alpträumen, endlosen Schuldgefühlen und Lebensmüdigkeit, ja Todessehnsucht, geprägt war. Ich wollte nur noch meine Ruhe haben, nichts mehr fühlen, nichts mehr müssen und von mir aus auch einfach nichts mehr wollen.

Erfahrungen in den Blockwochen
Die Blockwochen der Gruppentherapie waren für mich sehr intensiv. Es kam mir dabei entgegen, dass ich mich über mehrere Tage mit einer Fragestellung befassen konnte. Auf Naxos z.B. habe ich mich mit meiner Einsamkeit auseinandersetzen müssen. Ich fand nicht in die Gruppe, fühlte mich außen vor, konnte mich nicht mitteilen und wollte nur noch weg. Diese Woche war schrecklich, anschließend habe ich allerdings zwei sehr wichtige Entscheidungen getroffen: 1. in der Gruppe zu bleiben und 2. dass mir das so nie wieder passieren sollte.

Die vorletzte Blockwoche in der Türkei war eine der wichtigsten Wochen meines Lebens. Hier habe ich mich den Bildern gestellt, die ich mit der Vergewaltigung verbinde, dazu meiner Ohnmacht, meinen Schuldgefühlen, meinem Ekel und meiner Verzweiflung. Nie zuvor hatte ich diese schrecklichen Bilder zulassen können. Ich habe sie gemieden und stattdessen Nebenschauplätze entwickelt, an denen ich meine Hoffnungslosigkeit und meine Lebensmüdigkeit festmachen konnte: ausspuckende Männer, drängelnde Autofahrer, Krieg im Irak und ähnliches mehr. Nun ließen sich die Bilder nicht mehr wegdrängen. Es war sehr quälend, sie zu erleben. Der Ekel machte sich breit, mir war speiübel und ihm nachzugeben entgiftete im wortwahren Sinn meinen Körper. So begannen meine Schuldgefühle allmählich in Mordlust umzuschlagen. Die Täter foltern, erschießen, erschlagen … Ich hätte nie zuvor gedacht, dass ich zu solch mörderischen Gedanken jemals fähig sein könnte. Vor allem aber nicht: wie befreiend sie waren! Ohne das Vertrauen in den Rückhalt der Gruppe und in Werner wäre ich niemals fähig gewesen, den Mut aufzubringen, diese Gefühle und Gedanken zuzulassen. Und selten zuvor habe ich mich so sehr gefordert und gleichzeitig beschützt und geliebt gefühlt.

Schlussgedanken und Perspektiven
Was bleibt zum Schluss: Die Gewalt an meiner Tochter kann ich nicht ungeschehen machen. Die unbeschreibliche Traurigkeit und Verzweiflung über das, was meinem Kind angetan wurde, wird mich begleiten und wahrscheinlich immer wieder aufbrechen. Auf Übergriffe und Gewalt, aus welcher Position heraus und in welchem Ausmaß auch immer, reagiere ich sehr empfindlich. Und oft fühle ich mich dabei unfrei, weil ich Ärger und Wut noch nicht immer zulassen kann.

Das Geschehene in mein Leben zu integrieren, damit es die Macht über mich verliert, daran habe ich 7 Jahre lang gearbeitet; meine Ausdrucks- und Handlungsfähigkeit und damit meine Lebenszuversicht zu erhalten und zu stärken, darin liegt auch in Zukunft eine meiner Lebensaufgaben. Dabei hilft mir sehr, dass ich durch die Therapie in den vergangenen Jahren auch einige Schätze wieder gefunden und geborgen habe: meinen Humor, meine Kraft, meine Liebe zum Segeln, meine Gitarre und meine Freude am Singen. Vor allem aber: Ich traue wieder meiner Intuition.

Und mitzuerleben, wie meine Tochter ihr Leben meistert, wie sie sich um eine zufriedene Partnerschaft bemüht, berührt mich tief und erfüllt mich mit Liebe und Stolz.

 

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