Am 11. September 2001, als die schrecklichen Nachrichten über die Terroranschläge auf das World Trade Center und das Pentagon alle unsere Nachrichten beherrschten, beschloss ich, eine Therapie zu machen. Ich sah die Bilder, hörte die Nachrichten, aber nichts konnte meine Seele erreichen. Es war der Zeitpunkt zu verstehen, dass meine Seele überschwemmt von Ereignissen, Schicksalsschlägen und Traumatisierungen war. So kam ich über einen Freund zu Werner van Haren. Da Werner zu diesem Zeitpunkt keinen Einzeltherapieplatz anbieten konnte, begann ich im Januar 2002 mit der Jahresgruppe, kurze Zeit danach auch mit Einzelsitzungen.
In den Jahren habe ich sehr viel und intensiv an mir gearbeitet und viele Erfahrungen waren und sind so vielschichtig, dass ich sie schwer beschreiben kann. Daher möchte ich von einer, für mich besonders berührende und heilende Arbeit in der Gruppe berichten.
Ich habe auf eine sehr tragische Weise meinen damals knapp vierjährigen Sohn verloren. Aufgrund meiner damaligen Lebensumstände habe ich M’s Tod nie verarbeiten und betrauern können. In all den Jahren hatte ich einen immer wiederkehrenden Traum:
Immer wieder wollte ich das Grab von M. besuchen. Ich irrte über Wege auf dem Friedhof, der unheimlich und dunkel war. Er hatte nichts Friedliches – oder Trostspendendes. Jedes mal kam ich irgendwann zu einem Grab, dass wohl M’s Ruhestätte sein sollte. Ein düsteres sehr tiefes Wassergrab, mit dunklem, undurchsichtigen Wässer gefüllt. Immer hatte ich das Gefühl, am falschen Grab zu stehen, doch brachten mich die Wege über den Friedhof genau da hin.
An einem Gruppenwochenende war auch M’s Todestag. Werner fragte mich, ob ich ein Foto von M. dabei hätte. Wir stellten es in die Mitte und Werner bat mich, M. alles das zu sagen, was ich ihm zu Lebzeiten nicht mehr hatte sagen können. All meine Liebe für ihn, aber auch meine Schuldgefühle. Besonders, dass ich ihn nicht beschützen konnte, das Eingestehen von Unzulänglichkeiten, von meinen Grenzen und Überforderungen.
Das klingt vielleicht einfach und unspektakulär. Vielleicht war es das auch, hatte aber eine lang nachwirkende Intensität.
Einige Wochen später hatte ich dann folgenden Traum:
Der Traum begann wie immer. Ich wollte M’s Grab besuchen. Doch plötzlich saß ich auf einem Bagger und fuhr mit ihm die Wege zum Wassergrab und schüttete es mit Erde zu.
Danach ist der Traum nie mehr wiedergekehrt.
Diese Arbeit war der Anfang vom Ende übermächtiger Schuldgefühle und ermutigte mich, noch viele viele weitere Schritte zu gehen, die Themen Schuld, Grenzen, Akzeptanz von Unzulänglichkeiten zu bearbeiten. Auch zu akzeptieren, dass es Lebensthemen gibt, die vielleicht nie ganz heilen werden.
Und dennoch:
Vor einiger Zeit habe ich M’s Grab tatsächlich völlig umgestaltet. Von einem Kindergrab zu einem Grab, dass seinem heutigen Alter entspricht.