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© marika/pixelio.de

Anstrengung– Erschöpfung

Anstrengung – vielfach erscheint sie uns als etwas Selbstverständliches, zu unserem Lebenswandel Gehöriges, vielleicht Normales. Immer aufmerksam, achthabend, vorsichtig, so lautet die Devise der Anstrengung. Wächst sie sich zu Müdigkeit oder gar Erschöpfung, zu chronischen Kopfschmerzen, Verspannungen, Rückenleiden aus, melden sich vielleicht Zweifel an der Normalität dieser Anstrengung: „Wann ist es denn jemals genug?!“ „Wie werde ich bloß die innere Anspannung los?“ Ist sie schließlich mit auftretenden Gefühlen von Leere oder gar Sinnlosigkeit verknüpft, ist die Talsohle erreicht. Alarmstufe Rot. Ausgelaugt sein, Erschöpfung, Leere, das sind die Ergebnisse von Überanstrengung und nicht zuletzt erste Warnzeichen auf dem Weg zum Burn-Out-Syndrom. Warum strengen wir uns so an? Gehört es zum Leben, sich so anzustrengen?
Manches Mal nach einem Arbeitswochenende mit einer Gruppe fühlte ich mich müde und zerschlagen. Obwohl ich diese Arbeit grundsätzlich mit viel Freude mache, spürte ich Ergebnisse einer Anstrengung, die mir sagte, dass etwas für mich nicht richtig gelaufen war, dass ich zu viel Kraft gelassen hatte. Ich entdeckte nach und nach, dass sich diese Art von Müdigkeit einstellte, wenn ich meine eigenen Gefühle nicht ernst genug genommen und zu sehr stellvertretend für die Gruppe gearbeitet hatte. Zurückgehalten hatte ich beispielsweise Gefühle von Ärger (und damit eine Tendenz zur Konfliktvermeidung in der Gruppe mit übernommen). Zu sehr für die Gruppe gearbeitet hieß beispielsweise, statt die Angst der Gruppe vor bestimmten Themen zu thematisieren, hatte ich versucht, sie durch eigene Angebote zur Auseinandersetzung damit zu ermutigen, und war damit aufgelaufen. Statt meine Anstrengung, vielleicht sogar Überforderung offenzulegen, und die Gruppe so zur Eigenaktivität und Eigenverantwortung anzuregen, oder sich selbst dem Thema Überforderung zu stellen, hatte ich einen inneren Kampf zur Lösung des Problems geführt, allein nach Lösungen gesucht, das Problem übernommen und damit mich übernommen. Sowohl die innere Zurückhaltung als auch die Übernahme von zu viel Verantwortung führte mich in eine innere Anspannung und Anstrengung, die in Erschöpfung mündete.

Der innere Kampf macht müde

Anstrengung heißt in dieser – eher noch sanften – Form: sich nicht ganz treu zu sein. Sie ist die Folge der Zurücknahme eigener Gefühle und Gedanken in Begegnungen. Ein – eher einsames – Ringen mit sich selbst tritt an die Stelle äußerer Begegnung. Und dieser innere Kampf macht müde. Gleichwohl enthält diese Form von Anstrengung bereits das, was ich als ihren Kern ansehe:
Anstrengung ist Folge einer fortgesetzten Überforderung, die im Wesentlichen durch zwei Motive gespeist wird: zum einem durch Bereitschaft, zu viel zu tragen. Sie ist vertraut für Menschen, die früh gelernt haben, (zu viel) Verantwortung zu übernehmen. Der Fachjargon nennt das Parentifizierung, Rollenverkehrung zwischen Kindern und Eltern. Ihre zwangsläufigen Begleiterscheinung sind: sich zurückzunehmen, etwa Bedürfnisse nach Hilfe, Ausdruck eigener Überforderung, Enttäuschung, Ärger usw.
Die zweite Quelle ist der permanente Kampf zu beweisen, dass man ok ist. Sie erscheint häufig als vollkommen überhöhter Leistungsanspruch. Eine Patientin schreibt dazu: „Es ist das Gefühl, alles, was ich tue, gut machen zu müssen – nicht im Sinne, die Beste zu sein, sondern vor den eigenen Ansprüchen zu bestehen. Es ist der innere Antreiber (Streng dich an! Hast du dich genug angestrengt? Das geht noch besser.)“

Im Vergleich mit den anderen leitet die innere Gewissheit, sowieso nicht zu genügen, das Gefühl der Anstrengung.
Es ist die Anstrengung, diese Unzulänglichkeit nicht ganz offensichtlich werden zu lassen, sich nicht völlig unterlegen (ausgeliefert) zu fühlen. „Die Kehrseite dieses permanenten Hochleistungsanspruchs ist die Ausrichtung aller inneren Antennen auf die anderen: „Was darf ich, was darf ich nicht? Was passiert wenn … ? Was denken die anderen, wenn … ?“ Fast immer in Verbindung mit einer Angst, etwas falsch zu machen oder vor allem, ganz falsch zu sein.
Dahinter steckt als tieferes Thema das grundlegende Bedürfnis, als Mensch geliebt und anerkannt (oder zumindest nicht abgelehnt) zu sein. Es verweist auf frühe Kindheitserfahrungen des Ungeliebtseins, auf eine Biographie, in der es Aufmerksamkeit oder „Liebe“ nur im Zusammenhang mit Stärke, Kreativität, Fehlerfreiheit oder sehr guten Leistungen gab. Diese zweifellos „richtige“, reale Erfahrung ist die Wurzel des fatalen Irrtums, dass es vor allem von der Menge meiner Anstrengung abhängt, ob ich jemanden innerlich erreichen kann, dass ich sein Herz als Ergebnis von Leistung erreiche, oder ich zumindest durch die Menge meiner Anstrengung verhindern kann, abgelehnt zu werden. Anstrengung ist hier das Ergebnis einer tiefen Liebes-Verlassenheit und mündet so schließlich in eine Verhaltensweise, sich selbst zu verlassen.
Und dennoch schützt Anstrengung natürlich keineswegs vor Ablehnung. Es gibt sowieso überhaupt keinen Schutz vor Ablehnung (außer der Einkapselung). Selbst wenn wir uns in dieser Art der Anerkennung sicherer fühlen, bleibt die Unsicherheit, dass es immer die Anerkennung für die Anstrengung ist, nicht die Wertschätzung für die ganze Person. Diese Art von Anstrengung macht nicht wirklich glücklich, sie erfüllt einen nicht. Sie macht vielmehr abhängig von äußerer Bestätigung. Vielleicht verhilft sie mitunter zu einem Hype, setzt einen auf die Droge des (kleineren oder größeren) Erfolgs – aber sie kann keine innere Zufriedenheit und Erfülltheit vermitteln. Die Befriedigung bleibt äußerlich; das schmerzhafte Gefühl, ungeliebt zu sein, bleibt bestehen. So wird die Droge immer neu und stärker gebraucht (vermehrte Anstrengung ist dazu nötig) und stumpft letztlich doch ab.
Gerade wer schließlich besonders müde ist, eigentlich Nähe und Geborgenheit bräuchte, wählt dann den Weg weiterer Anstrengung, um wenigsten Lob und Anerkennung zu erhalten und zumindest einen „zweiten Aufguss“ von Geborgenheit und Eingebundenheit zu erhalten.
Die Anstrengung bis zur Erschöpfung hat immerhin zunächst einen „angenehmen“ Nebeneffekt: ich spüre nichts mehr außer Müdigkeit. Käme ich dagegen zur Ruhe, so käme mir meine Einsamkeit zu Bewusstsein bzw. mir nahe.
Noch einmal die Patientin: “An dieser Stelle beginnt für mich die Frage nach dem Sinn (des Lebens), die Frage: Wer bin ich, wo gehöre ich hin. Um hier nicht völlig in die Depression oder Ausweglosigkeit zu verfallen, setze ich die Anstrengung, mich in irgendwelchen Aktivitäten wieder sinnhaft zu spüren, dagegen (Arbeit).

… ein lebenswichtiges Alarmsignal

Der Sinnlosigkeit etwas entgegen zu setzen, erfordert sehr viel Anstrengung. „So ergibt sich in der Konsequenz eine lebensgefährliche Spirale der Anstrengung. Sie ist Ergebnis der verzweifelten Bemühung, seinen Wert zu beweisen, auch um den Preis, sich zu verbiegen. Spätestens am Ende dieser Spirale wartet die lebensnotwendige Herausforderung, sein wahres liebenswertes Selbst zu entdecken und stärken, und das Eigene, und sei es noch so (vermeintlich) schwach oder hässlich, unzumutbar oder peinlich, zu leben.“
Sheldon B. Kopp formulierte es so: „Ich muß bereit sein, in mir selbst auf hässliche, böse und peinliche Gedanken zu stoßen, sonst kann ich auch nicht meine liebenswerten, empfindlichen und netten Seiten finden. All diese guten/schlechten, starken/schwachen, göttlichen/lächerlichen Janusköpfe muss ich sehen, wenn ich auch Zeit haben möchte, ohne Maske zu leben. Trage ich sie zu lange und versuche sie dann abzulegen, werfe ich vielleicht mein eigenes Gesicht fort. Wenn ich mir selbst transparent genug bin, und diese versteckten Seiten meines Ich mich nicht mehr so erschrecken, dann werde ich auch für andere transparent. Zeige ich mich offen, ohne mich darum zu sorgen, wie der andere darauf reagiert, werden sich einige angesprochen fühlen, andere nicht. Aber wer wird mich lieben, wenn keiner mich kennt? Ich muß es wagen oder allein leben. Es genügt schon, dass ich allein sterben muß. Wie groß das Risiko auch ist, ich bin entschlossen, die Maske fallen zu lassen, wenn das bedeutet, dass ich vielleicht alles bekomme, was für mich da ist.“
Anstrengung, die in Erschöpfung mündet, ist ein lebenswichtiges Alarmsignal. Sie wurzelt in zwei großen Quellen der Anstrengung, nicht selten sogar in einer Kombination von beiden. Es sind:
1. Die Übernahme von Verantwortung, die ich nicht tragen kann (übergroßes Pflichtgefühl)
2. Der Versuch, das Gefühl eines tiefen Ungeliebtseins (einer narzisstische Wunde) zu kompensieren.
Beide münden in den Verzicht auf eigene Bedürfnisse, der Ablehnung innerer Gefühle von Überforderung und Wut, dem Unglauben an die eigene Liebeswürdigkeit u.a.
Und natürlich gibt es äußere und gesellschaftliche Dimensionen, die diese Quellen mobilisieren und verstärken, wie z.B. arbeitsbedingte psychische Belastungen wie Angst um den Verlust des Arbeitsplatzes, Mobbing, zu hohe Leistungsanforderungen, Gratifikationskrisen usw. Hier braucht es betriebliche oder gesellschaftliche Veränderungen, die nicht individuell zu lösen sind; gleichwohl ist der zu bewältigenden innere Schritt unumgänglich: die Entwicklung neuer Verhaltensmöglichkeiten wie etwa: „Nein“ sagen können, der Verzicht auf die Erweckung zu hoher Erwartungen („Den Job kann ich in dieser kurzen Zeit nicht ohne das Risiko auf größere Fehler / nicht ohne weitere Unterstützung bewältigen“) oder die Bitte um Unterstützung bzw. die Solidarisierung mit anderen.
Erschöpfende Anstrengung fordert also aus meiner Sicht dazu heraus, übergroße Verantwortung abzugeben oder die Anstrengung, ein anderer zu sein, durch Wahrhaftigkeit abzulösen. Die Anstrengung, die dann noch bleibt, ist eine andere Art von Anstrengung, die wirklich zum Leben, zur Arbeit, Freizeit und Sport gehört und satt macht. Sie gibt ein wohliges Gefühl der Erschöpfung, nicht zerschlagen, sondern „rechtschaffen müde“. Sie mündet in Wohlgefühl und innerer Ruhe.