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Einsamkeit

Einsamkeit ist ein großes Thema in der Therapie.
Menschen leiden an dem Gefühl der Einsamkeit und von da aus entwickeln sich mitunter tiefe Zweifel am Sinn des Lebens, depressive Stimmungen u.v.m.

Einsamkeit ist gefährlich; sie ist eine Quelle von Erkrankungen. Umgekehrt ist es zuverlässig erwiesen, dass soziale Eingebundenheit, ein gutes soziales Netz ein wichtiger Schutzfaktor für psychische Gesundheit ist.
Aus meiner Sicht gibt es allerdings zweierlei Einsamkeit: eine existenzielle Einsamkeit (nur ich kann mein Leben tragen und gestalten) und die Einsamkeit als Gefühl in Folge einer Unverbundenheit mit sich und den Menschen, ein Erleben der Abgetrenntheit von Anderen, der Verlassenheit und Verlorenheit.

In existenzieller Hinsicht ist Einsamkeit Ausdruck der Tatsache, dass nur ich selbst mein Leben gestalten und tragen kann. Alle Grundthemen des Lebens, Krankheit, Glück, Tod, Sinn, Beziehung und Bindung sind nur von mir zu bewältigen und zu bestehen. Niemand kann es mir abnehmen, Entscheidungen zu treffen, Krankheiten zu bewältigen, den Sinn meines Lebens zu finden oder zu definieren und letztlich dem Tod ins Auge zu sehen. Ich allein bin es, der all dies tun kann. Die Feststellung und Akzeptanz dieser Tatsache kann zu einer wesentlichen Quelle für ein selbstbestimmtes und selbstverantwortliches, kraftvolles eigenes Leben werden. Die Hinwendung zu sich selbst in diesem Sinne ist wiederum eine Basis für die Hinwendung zum Anderen. Ich kann mich umso besser verbinden, je mehr ich mit mir selbst in Kontakt bin, je sicherer ich mir meiner selbst bin. Von hier aus ergibt sich eine Brücke zur sozialen Eingebundenheit. Je mehr ich mich nun wiederum mit anderen verbunden fühle, umso mehr kann ich u.U. Kraft entwickeln, die mir in der Lebensgestaltung hilft, mein Leben leichter oder reicher macht. Oder wie es im Volksmund heißt: „Geteiltes Leid ist halbes Leid, geteilte Freude ist doppelte Freude.“

(Nebenbei: Ich finde es ein wenig bedauerlich, dass die humanistische Psychologie für dieses existenzielle Thema den heute so belasteten Begriff der ‚Einsamkeit’gewählt hat; gleichwohl fällt mir keine richtige Alternative ein. Vielleicht ginge: Einzelheit oder Solitäre Existenz.)

Während also diese existenzielle Einsamkeit aus meiner Sicht keineswegs eine negative Kategorie ist, sondern eher hin zur Selbstverantwortung führt, finden wir auf der anderen Seite den vertrauteren Begriff von Einsamkeit als leidvollem Gefühl. Einsame Menschen empfinden eine unüberwindliche Wand zwischen sich und den anderen; sie sind in schmerzhafter Not und es erscheint ihnen selbstverständlich, dass sie sich damit zurückziehen müssen.

Was quält, gilt es eher schamvoll zu verbergen

Ihre Not enthält die innere Überzeugung, damit auf sich selbst gestellt zu sein. Gemäß dieser Überzeugung kann niemand sie annehmen oder verstehen. Im Gegenteil: Das, was sie quält, gilt es eher schamvoll zu verbergen. So findet der innere Schrei keinen äußeren Ausdruck.

Woher stammt dieses Gefühl der Einsamkeit? Ich glaube, dass es sich auf frühe, manchmal auch spätere Verlassenheitserfahrungen gründet. Auf der Basis der kindlichen Erfahrung, sich selbst überlassen gewesen zu sein, keinen Platz für Bedürfnisse, Nöte und Ängste zu finden, entwickelt sich Verlassenheit. Aus einer Kette von Verlassenheitserfahrungen entwickelt sich das Gefühl der Einsamkeit sowie die Erfahrung, dass es offenbar nicht möglich ist, sich mit wichtigen Bezugspersonen zu verbinden, um von ihnen Trost und Hilfe zu erhalten. Das spätere Einsamkeitsgefühl speist sich aus diesen Erfahrungen und wird neu hergestellt als Ergebnis inneren und äußeren Rückzugs. Dieses Rückzugsbedürfnis ist Folge der Vorstellung, uninteressant, unzumutbar zu sein. In dieser Vorstellung werden selbst soziale Begegnungen, die eigentlich die Möglichkeit der Aufhebung der Einsamkeit enthalten, als Belastung empfunden. So vermeiden schließlich einsame Menschen das Zugehen auf Andere, vermeiden die Selbstöffnung mit ihren Sorgen und Bedürfnissen. Aus Angst warten sie ab, hoffen vielleicht darauf, dass sie jemand findet und anspricht. Wenn dies dann nicht geschieht, werten sie es als Bestätigung ihrer schon vorhandenen Vorstellung der eigenen Außenseiterposition – eine destruktive Spirale in immer tiefere Einsamkeit.

Und auch die Angst vor Einsamkeit hinterlässt ihre Spuren. Aus Angst vor Einsamkeit werden Konflikte nicht ausgetragen, wird manche überfällige Loslösung oder Trennung vermieden.

Einsamkeit ist zu unterscheiden vom Alleinsein

So werden belastende oder gar zerrüttete Beziehungen ausgehalten – und die Kraft zur positiven Lebensgestaltung aufgezehrt. Einsamkeit ist schließlich zu unterscheiden vom Alleinsein. Sie ist keine einfache Folge des Mangels an Kontakten. Manche fühlen sich inmitten von Anderen allein, weil sie keine Verbindung fühlen oder aufnehmen können, weil sie mit dem, was sie ausmacht und beschäftigt keinen Platz finden oder nehmen können. Sie haben die Fähigkeit verloren, sich anzuvertrauen, sich mitzuteilen, sich zu verbinden.

Andererseits können wir ganz allein sein, ohne dass das Gefühl der Verlassenheit entsteht. Dann sind wir in guter Verbindung mit uns selbst, wir genügen uns in dem, was wir in diesem Moment sind oder tun. Und wahrscheinlich wissen wir um unserer Möglichkeit der Verbindung mit Anderen, die wir jedoch im Augenblick nicht benötigen. Im Gegenteil kann dieser Rückzug auf sich selbst, der Abstand von einem möglicherweise hektischen Alltag sogar eine Quelle der Selbstfindung und Selbstvergewisserung sein. In diesem Sinne hatte das Wort ‚Einsamkeit‘ zu anderen historischen Zeiten durchaus auch einen positiven Klang, den wir so heute wohl eher nicht empfinden.

Was hilft zur Vermeidung von Einsamkeit? Die Entwicklung des eigenen Selbstwertes und das Lernen sozialer Kompetenzen der Kontaktaufnahme und Beziehungsgestaltung.

Ich bin nicht zuletzt deshalb ein entschiedener Anhänger von Gruppentherapie. Während die Konzentration auf Einzeltherapie eher Tendenzen der Individualisierung und Vereinzelung begünstigt, befähigt Gruppentherapie Menschen, sich in ein soziales System einzubinden und von dort zu lernen, ihre Fähigkeit zur Verbindung mit anderen Menschen zu entwickeln oder zu verbessern. Die Therapie-Gruppe kann selbst zum Teil des sozialen Netzes werden, und sie stärkt soziale Kompetenz und Selbst-Bewusstsein. Sie hilft so, vor Einsamkeit zu schützen.

Noch ein abschließender Gedanke: So sehr Einsamkeit in seinen beiden Bedeutungsdimensionen ein den Einzelnen tief ergreifendes Moment ist, so ist es immer zugleich auch ein Reflex gesellschaftlicher Verhältnisse. Wie weit erleichtern oder erschweren uns gesellschaftliche Bedingungen Antworten auf existenzielle Fragen, auf Sinnfindung oder positive Lebensbewältigung? Wie weit erleichtern oder behindern sie Einbindung oder fördern gar Vereinzelung? Welche Voraussetzungen bietet eine Gesellschaft für ein Leben, das Nazim Hikmet so skizziert:

„Leben wie ein Baum einzeln und frei und brüderlich wie ein Wald das ist unsere Sehnsucht.“