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Neid

Das Gefühl von Neid hat einen ausgesprochen schlechten Ruf. Er gehört zu den eher schambesetzten Selbstanteilen. Infolgedessen wird Neid zumeist peinlich verborgen und ist selten offen erkennbar. Bereits die Selbst-Wahrnehmung von Neid enthält häufig eine quälende Komponente. „Ich darf, ich will nicht neidisch sein. Ich kann doch niemand preisgeben, dass ich es bin.“ Wer Neid bei sich entdeckt, entwickelt oft im gleichen Moment ein schlechtes Gewissen, fühlt sich schuldig oder schmutzig, dieses Gefühl zu haben. Vielfach mündet dies in Selbstverurteilung und Selbstvorwürfen. Wie kommt es dazu?

Diese negativen Selbstbeurteilungen erfolgen auf dem Boden eines kulturellen Bewertungs-Untergrundes, der Neid (ähnlich wie Eifersucht, Konkurrenz, zunehmend auch Wut) stigmatisiert. Hier fließt sicher ein, dass Neid auch in den Religionen vorwiegend als Sünde, nicht-akzeptiertes Karma u. ä. präsent ist. Vor diesem Hintergrund dominiert im öffentlichen Bewusstsein und im Unterbewusstsein eine allgemein verurteilte, aber eben nur eine Seite des Neides – seine aggressive, destruktive und als solche geächtete Seite. In dieser Lesart sind wir „von Neid zerfressen“, verkörpern maßlose Gier oder enden in bösartiger Missgunst. Als Wirkung dieser Einseitigkeit ist der Neid selbst da stigmatisiert, wo er durchaus produktiv werden kann. In meiner Arbeit geht es dann oft darum, den Neid zu rehabilitieren, ihn aus der Enge der Scham zu befreien und in einen Ausgangspunkt konstruktiver innerer Arbeit zu verwandeln.

Die Grundlage von Neid ist ein schmerzhafter Vergleichsprozess. „Du hast/bist/kannst etwas, das ich nicht habe/bin/kann.“ Es ist die Wahrnehmung einer Differenz, die in mir das Erleben eines Mangels oder gar Makels hervorruft. Dazu ein Beispiel:

Eva muss aus finanziellen Gründen eine Weiterbildung abbrechen, weil sie einen nebenberuflichen Honorarvertrag verliert. Ihr ohnehin knappes Budget als alleinerziehende Mutter lässt ihr keinen Spielraum mehr. Sie versucht diese Not gegenüber den übrigen Fortbildungsteilnehmern lange zu verbergen, weil sie sich dafür schämt, finanziell so minderbemittelt zu sein. Diese Scham knüpft an Erinnerungen an alte schambesetzte Situationen an, in denen sie als Schulkind aus sozial schwachen Verhältnissen z.B. nicht mit auf Klassenfahrten fahren konnte, kein Musikinstrument hatte u.a.. Als Eva endlich darüber sprechen kann, tauchen auch Neidgefühle auf die anderen Weiterbildungsteilnehmer auf, die sich aufgrund ihrer besseren wirtschaftlichen Situationen das Fortbildungsprogramm leisten können. In ihr Bedauern über ihren aktuellen wirtschaftlichen Verlust, verknüpft mit der Scham über das vermeintliche persönliche Ungenügen, mischt sich zusätzlich noch die Scham über den eigenen Neid. So entsteht ein Gefühlsknäuel, das die Situation über Monate für sie unbesprechbar macht. Stattdessen dominiert ein quälender Prozess von Verheimlichung und Selbstvorwürfen. Die Neidwahrnehmung führt hier letztlich in eine depressive Verarbeitung.

Dabei ist der Neidimpuls oft keineswegs mit Missgunst verbunden. Manchmal stelle ich zur Verdeutlichung in solchen Situationen die Frage: „Missgönnst Du es den anderen?“ Für viele ist es entlastend – auch für Eva in diesem Beispiel – wenn sie realisieren, dass Neid nicht zwangsläufig und ausschließliche eine destruktive Wirkung hat. Die Umformulierung des gleichen Sachverhaltes mit dem Wort „beneiden“ hilft meistens, weil es deutlich machen, dass es nicht wie selbstverständlich darum geht, dem anderen etwas zu nehmen, vielmehr um den Wunsch, es auch für sich haben zu wollen. Dieser Beginn einer Differenzierung von Neid, also eine Theorie als Intervention, ist oft ein erster Schritt dazu, die Spirale der Selbstvorwürfe zu stoppen.

Destruktive Konkurrenz

Nur Neid als aggressives Gefühl führt in den Wunsch, das Neidobjekt zerstören zu wollen oder mündet in eine destruktive Konkurrenz. Gelingt es, ihn in ein anerkennendes Beneiden zu verwandeln, mit der inneren Erlaubnis, die Wehmut zu spüren, etwas nicht zu besitzen, führt es eher in einen positiven Kontakt. Um das eigene Selbstwertgefühl zu stabilisieren, ist es wichtig, sein Anderssein oder gar sein Unterlegensein als Ausdruck der eigenen Persönlichkeit zu erfassen und nicht als Minderwertigkeit zu interpretieren.

Noch ein Beispiel: Hannah ist in einer Gruppe sehr geschätzt. Es gelingt ihr wie keiner anderen, differenzierte und ausgewogene Rückmeldungen zu geben. Sie bleibt immer wertschätzend und wohlwollend und genießt infolgedessen großen Respekt. Nach einer solchen Wortmeldung platzt es plötzlich aus Dörte heraus: „Ich könnte Hannah würgen, weil sie schon wieder so tolle Worte gefunden hat und in der Gruppe glänzen kann!“ Dieser neidvolle Ausbruch führt zu einer lebhaften Diskussion, in der sehr deutlich wird, dass beide Frauen sich in der Gruppe, wenn auch auf sehr unterschiedliche Weise, großen Respekt erarbeitet hatten: Dörte wird u.a. sehr für ihren Mut zur schonungslosen Konfrontation geschätzt. Was Hannah an Ausgewogenheit mitbringe, brächte Dörte an Mut zur Auseinandersetzung ein, einschließlich der Risikobereitschaft, manchmal vielleicht die Kritik zu überziehen. Beide zusammen seien eigentlich ein Dream-Team, die sich wechselseitig in ihren Stärken bereichern und in ihren Einseitigkeiten korrigieren könnten. In jedem Fall genössen beide eine hohe Wertschätzung. Diese Rückmeldungen verhelfen Dörte zu einem wohlwollenderen Blick auf Hannah und vor allem auf sich selbst.

Das Beispiel verdeutlicht zunächst, dass wir im Gefühl des Neides unter anderem zur Überhöhung des Anderen und zur Geringschätzung des Eigenen tendieren. Indem wir auf das schauen, was uns fehlt, übersehen wir unsere Stärken. Vor allem jedoch liefert es Hinweise darauf, wie eine konstruktive Neidverarbeitung gelingen kann, wenn das Vergleichen von der Bewertung oder Abwertung getrennt werden kann. Letztlich ist es wesentlich, ob es zu einem Prozess der Selbstidentifizierung kommt, die realistisch unsere Schwächen und Stärken anerkennt und akzeptiert. Wir können dann neidlos anerkennen, ohne uns abzuwerten. Dieser Prozess mündet schließlich in Selbstakzeptanz: in ein Einverständnis mit dem, wie und was ich bin.

Viele haben Angst vor dem Vergleichen

Paradoxerweise geht der Blick zumeist eher „nach oben“; man findet immer jemanden, der es besser hat/kann. Ein realistischer Blick fällt nicht leicht. Natürlich ist es immer schwerer, damit klar zu kommen, dass andere besser sind als umgekehrt. Es erfordert Integrationsarbeit, diesen Mangel, diese Frustration und Enttäuschung zu verarbeiteten und zu akzeptieren. Für jeden Menschen, umso mehr für jene mit einem schwachen Selbstwertgefühl ist das Schwerstarbeit.

Viele haben deshalb Angst vor dem Vergleichen. Sie meinen, etwas Herausragendes sein oder leisten zu müssen. Es fällt ihnen schwer, ihre Einzigartigkeit von der Leistungs- bzw. Bewertungsdimension zu lösen. In dieser Vorstellung kann das Normale nicht einzigartig sein. Daraus erwächst u. U. ein Druck/Streben, dass Menschen zu einem hochschauen sollen; die horizontale Ebene, als Persönlichkeit identifiziert zu werden, erscheint in dieser Perspektive als zu wenig. Der Glanz der Erhöhung, nicht das Eins-Sein mit sich selbst wird zum Orientierungsmaßstab oder gar Lebensziel.

Insgesamt besteht die bis hierher beschriebene konstruktive Form der Neidverarbeitung daher in der Arbeit an der eigenen Identität.

Eine weitere Form, Neid konstruktiv zu nutzen, führt möglicherweise zum Streben, es dem Beneideten gleich zu tun. Der Schmerz des Vergleichs macht deutlich, dass im eigenen Leben etwas übergangen wurde, eine Fähigkeit brachliegt, ein Bedürfnis vernachlässigt wurde. Dann wird der Neid zum Weckruf, der unseren Ehrgeiz anspornt und Kräfte mobilisiert, die schlummerten; er wird zum Stimulus für persönliches Wachstum.