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Verachtung – Abwertung

Dieter schlägt voller Wut auf den kleinen Affen in meiner Praxis. Ich habe ihm das zerzauste Stofftier als Verkörperung seiner Erschöpfung und Überforderung gereicht, als Ausdruck seiner eigenen Anteile von Schutz- und Hilfsbedürftigkeit, seiner Angewiesenheit auf Halt und Unterstützung. Statt tröstlicher Unterstützung erfährt der schlappe Affe jedoch heftigste Ablehnung. Und obwohl mir diese erbarmungslose Wut schon häufig begegnet ist, so ist es doch immer wieder erschreckend, wie unerbittlich und ohne Mitgefühl die eigenen Selbstanteile abgelehnt, ja fast vernichtet werden. Und in dieser Stunde bleibt Dieter unerweichlich und unerreichbar; immer und immer wieder schleudert er den Affen weit von sich, will nichts mit ihm zu tun haben, drückt mit aller Macht seine Ablehnung und Verachtung aus.

Verachtung verbinden wir im Allgemeinen eher mit einem Gefühl, das sich auf andere Menschen oder deren Handeln bezieht. Gerade deshalb habe ich eben dieses Beispiel ausgewählt, denn aus meiner Sicht entspringt die wesentliche Quelle der Verachtung aus der Ablehnung von etwas Eigenem. Sie wurzelt in der Abwertung eines eigenen inneren Anteils, die sich in der zwischenmenschlichen Begegnung am anderen manifestiert.

Ein anderes Beispiel macht dies vielleicht noch zugänglicher. Hannah spricht recht abfällig über ihren neuen Partner: er sei Heilpraktiker und kenne sich nicht einmal mit Kräutern aus, habe studiert und könne nicht ausreichend für sein Einkommen sorgen usw. usf. Die Frage, was das für sie bedeute, führt ein kleines Stück heraus aus diesen Abwertungen. Es werden ihre ungestillten Bedürfnisse und Befürchtungen deutlich: sie vermisst den Austausch und gute Gespräche über das, wofür sie selbst sich interessiert. Sie hat Sorge, eines Tages für ihn aufkommen zu müssen etc. Schließlich taucht eine noch bedeutungsvollere Schicht auf. Sie hat eine tiefe Angst, ihm nicht zu genügen, von ihm wieder verlassen zu werden. Obwohl sie selbst beständig (Ab-)Wertungen verteilt und innerlich Zeugnisse mit der Note „ungenügend“ schreibt – ist es genau das, was sie selbst befürchtet: in seinen Augen als ungenügend zu gelten. Ihren eigenen Mangel an Selbstwertgefühl, ihre eigene innere Selbstabwertung und ihre Angst, abgelehnt zu werden, wehrt sie durch die Abwertung ihres Partners ab.

Ich werte also dann ab, wenn ich mich in Gefahr sehe, selbst abgewertet zu werden.

Die Fremd-Abwertung schützt so vor dem Gefühl der (befürchteten) eigenen Wertlosigkeit, vor der Konfrontation mit Selbstunsicherheit, Selbstabwertung oder gar Selbsthass. In der Verachtung schaue ich auf den anderen hinab, mache mich größer als mein Gegenüber und in dieser vermeintlichen Größe schütze ich das, was gefährdet ist: das eigene Selbstwertgefühl. Ich werte nach dieser Logik also dann ab, wenn ich mich in Gefahr sehe, selbst abgewertet zu werden. Dies kann sich bis zur Verachtung steigern. Verachtung ist die gesteigerte Form der Abwertung, die sich mitunter bis zu einer Form des Ekels verstärken kann.

Wie kann es dazu kommen, dass Menschen ihr eigene Schwäche und Bedürftigkeit so ablehnen und Gleiches bei jemand anderen mit Verachtung strafen?

Die häufigste Ursache scheint mir, dass Kinder unter menschlichen Schwächen ihrer Bezugspersonen gelitten haben. Ein Kind verachtet den Vater wegen dessen Wehrlosigkeit, seiner Unfähigkeit, sich gegenüber seiner Frau zu behaupten und das Kind vor der quälenden Mutter zu schützen. Ein Kind verachtet die überstrenge Mutter, weil diese die Maßstäbe selbst nicht verwirklicht, die sie von ihm fordert. Ein Kind leidet unter den suizidalen Tendenzen des Vaters, strengt sich natürlich an, ihn zu stützen und bleibt gleichzeitig mit den eigenen Unterstützungsbedürfnissen auf der Strecke. Aus solchen und ähnlich gelagerten Erfahrungen erwächst irgendwann eine intuitive Entscheidung: so schwach wie diejenigen, unter denen ich gelitten habe, will ich niemals werden. Das Leid schlägt um in Verachtung. So darf es dann allerdings auch niemals dazu kommen, dass ich diese Eltern-Anteile in mir (oder meinen Mitmenschen) entdecke oder gar akzeptiere. Die schmerzhafte Enttäuschung verwandelt sich in Verachtung der frühen Bezugspersonen, und aus dieser Verachtung erwächst die Ablehnung dieses Anteils auch in sich selbst. Dies wird zur Quelle einer Unerbittlichkeit gegen sich selbst, eines permanenten Kampfes um die eigene Makellosigkeit, um persönliche Perfektion (Figur, Arbeit, Studium…), der bis zur Gnadenlosigkeit sich selbst gegenüber reichen kann – und oft auch die Unerbittlichkeit mit dem Gegenüber einschließt. Davon bleiben die eigenen Kinder keineswegs verschont: denn gerade sie in ihrer natürlichen Angewiesenheit und Schutzbedürftigkeit konfrontieren Eltern massiv mit solchen ungeliebten Selbstanteilen – und erleiden dann in elterliche Strenge und Härte eine Zurückweisung, die den Zyklus der verächtlichen Ausmerzung von Schwäche und Bedürftigkeit in die nächste Generation trägt.

In der Verachtung ist das eigene Bedürfnis und die eigene Abhängigkeit eliminiert, nicht mehr erkennbar. Ich spüre nicht mehr, was ich einst brauchte. Im aktuellen Gefühl der Verachtung ist die frühere Verletzung durch die Missachtung basaler Bedürfnisse verschwunden. Wenn mir nun Schwäche, Hilflosigkeit, Schutzbedürftigkeit oder Ähnliches begegnet, begegne ich unbewusst erneut der Qual, wie sehr ich unter diesem Mangel an Väterlichkeit/Mütterlichkeit gelitten habe, die ich mit der Heftigkeit der Ablehnung unspürbar, unerinnerbar, verdrängt halten möchte. Das erfahrene Leid nicht wieder zu spüren ist somit Bestandteil eines in der Verachtung verborgenen Abwehrprozesses; seine Wirkung ist gewissermaßen in die Vergangenheit gerichtet.

Und es gibt einen zweiten Teil, eine Kehrseite dieses Abwehrprozesses, die in die Gegenwart zielt. Öffnete ich mich wieder für die verschütteten Bedürfnisse nach Nähe und Halt, so würde mich diese Öffnung zugleich erneut durchlässig machen für Zurückweisungen, Abwertungen und Verletzungen. Wenn ich auf diese Weise – nun wieder verletzbar – in dem kindlichen Ohnmachtsgefühl verhaftet bleibe, mich derartigen Verletzungen gegenüber ausgeliefert zu erleben, sie nicht aushalten oder bewältigen zu können, so muss ich eine solche Öffnung ablehnen. Um nicht wieder verletzt zu werden mache mich dadurch unerbittlich, hart, verächtlich.

In der Verachtung ist die Wut gebunden

Wenn ich sage, dass die Verachtung eine in die Vergangenheit und eine in die Gegenwart zielende Abwehr beinhaltet, so könnte man auch davon sprechen, dass sie eine nach innen und eine nach außen gerichtete Wirkung oder Funktion hat: etwas wegzuhalten – mal eine innere Szene, mal eine andere Person. Das, was unwert erscheint, ist es nicht einmal mehr wert, sich damit auseinanderzusetzen. Damit ist Verachtung in der Wirkung aggressiv! Sie beschämt, demütigt, deklassiert. Aber die in der Verachtung enthaltene Aggression und Wut ist gewissermaßen erkaltet. Sie brennt nicht mehr. Ich würde sagen, in der Verachtung ist die Wut gebunden. Die brennende Wut tendiert eher zur Auseinandersetzung, führt damit vielleicht noch zu Begegnung und Klärung. In der Verachtung bleibt die Aggression dagegen still. Die Wirkung ist umso massiver: sie führt in Ausgrenzung und vollständige Entwertung.

Dieselbe Dynamik findet sich auch in Partnerschaften wieder, denn aus dieser Haltung erwächst die Unmöglichkeit, sich tief auf einen Partner einzulassen. Unbewusst suchen wir einen Partner, der die früh erfahrene „Unzulänglichkeit“ mit unseren Eltern teilt (der schwach, nicht männlich genug ist usw.), der mich also nicht stützen und halten kann – und dem ich mich daher auch nicht wirklich anvertrauen kann. Dann klagen Partner auf der bewussten Ebene darüber, dass sie sich beim anderen nicht anlehnen können, auf der unbewussten Ebene vermeiden sie jedoch den eigenen Entwicklungsschritt, sich als schwach und bedürftig „preiszugeben“ oder anzuvertrauen. Die Verachtung hat somit auch die Funktion, die Rollenaufteilung in der Beziehungsstruktur und Positionen in der Beziehungs-Hierarchie zu verfestigen.

Die Lösung kann nur in der Suche nach den eigenen Qualitäten, nach der Wertschätzung des Eigenen, also die Liebe zu sich selbst sein, insbesondere auch zu den vermeintlich oder real schwachen und innerlich abgelehnten Anteilen. Oft beginnt dieser Weg mit dem Entsetzen darüber, die Gefühle von Abwertung und Verachtung bei sich selbst zu entdecken. Schließlich spüren wir, wie sehr wir uns damit von unseren Gegenübern separieren, sie auf Abstand halten – und uns damit selbst etwas nehmen. Dies kann der Anfang eines Prozesses sein, in dem wir uns mit uns selbst neu verbinden.

Wie so oft in meinen Wikibeiträgen führt auch die nähere Betrachtung von Abwertung und Verachtung in die Herausforderung zur persönlichen Entwicklung. Erst das Verständnis und der Respekt vor sich selbst führt in eine verständnis- und respektvolle Begegnung und Beziehung.